Die neue German Angstlust

Halloween ist längst ein fester Bestandteil in unserem Eventkalender. Vor allem die jüngere Generation fährt voll ab auf den Gruselevent. Bei den Veranstaltungen auf Burg Frankenstein, in Südhessen oder den Fright Nights im Hasslocher Holiday Park gruseln mich mittlerweile nur noch das Gedränge und die Wartezeiten. Berichten zufolge soll es am letzten Samstag locker mal 120 Minuten gedauert haben, bis man in manche Scare Zones gekommen ist. Da besteht natürlich die Gefahr, dass der ein oder andere Besucher in der Warteschlange zum Schlächter wird. Die Mannheimer Jugendhäuser berichten von einem stetig steigenden Zulauf zu ihren kindgerechten Halloween-Partys. Mit 400 Halloween-Kindern im Haus wissen die MitarbeiterInnen dann schnell, wie sich eine Zombieattacke anfühlt.

Auch bei mir und meinen Kindern ist das Halloween-Shooting ein Foto-Highlight, zu dem ich die Kids nicht überreden muss. Schon das Zurechtmachen und das Schlüpfen in die Rolle eines Alptraumtyps, macht großen Spaß. Natürlich müssen die Bilder, wenn sie denn aus Photoshop kommen, jedes Jahr etwas schlimmer sein. »Kannst du aus mir einen Kriecher in Photoshop machen?« Das hat mich mein 13-jähriger Sohn gefragt, der dieses Jahr als Zombie fotografiert werden will. Ich hatte keine Ahnung, was das ist, und habe mich aufklären lassen. Ein Kriecher ist ein Zombie, dessen Beine und Unterleib so zerstört oder weggerissen ist, dass er sich nur noch mit den Händen vorwärtsziehen kann. Ja, kann ich, aber will ich das auch? Wo kommt sie denn her die Grusellust. Was stimmt mit uns nicht, dass wir uns schreckliche Dinge anschauen und uns dazu noch selbst verunstalten, mit Schminke und Kostümen? Wenn ich meiner 80-jährigen Mutter die fertigen Bilder zeige, kann sie nichts daran finden und meint nur, ich soll das lassen, das wäre so hässlich. Ich sollte froh sein, dass wir gesund sind und ich so hübsche Kinder hätte. Hat es vielleicht damit zu tun, dass wir uns niemals wirklich gruseln mussten, niemals echte Angst haben mussten? Wie unsere Eltern und Großeltern, die Kriege, Hunger und Armut erlebt haben?

Ich habe mal nachgeschaut und festgestellt, dass meine Vermutung in die richtige Richtung geht. Wenn wir uns beispielsweise einen Horrorfilm anschauen, wissen wir zwar, dass wir sicher auf der Couch sitzen, während die Zombies auf der Leinwand ihr Unwesen treiben, können aber trotzdem teilnehmen, uns identifizieren, mitfiebern und auch ein bisschen Angst haben. Parallel geht eine Welle der Erleichterung, Entspannung und Freude einher, weil wir eben sicher sind, egal wie e ausgeht. Das wird dann oft begleitet von der Ausschüttung körpereigener Opiate und Dopamin. Wir wissen, dass die Angst unbedenklich ist und können so das Wechselbad der Gefühle voll auskosten. Letztendlich wirkt Horror sogar entspannend.

Wie stark wir uns gruseln und vor allem, welche Monster uns am meisten erschrecken, hat viel mit unserer eigenen Sozialisation und dem Erlebten zu tun. Kinder beispielsweise können ihre realen Ängste vor Gruselfiguren mit den Monstern aus Büchern und Filmen bewältigen. Und selbst wenn sie nicht mehr an die Existenz von Monstern glauben, behalten sie sich die Fähigkeit, sich zu gruseln. Das bleibt auch im Erwachsenenalter. Dass Menschen, die im echten Leben Schreckliches erlebt haben, keinen inszenierten Halloween-Grusel mögen, ist verständlich. Somit ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen sich diesem hässlich schönen Fest hingezogen fühlen, doch ein gutes Zeichen. In diesem Sinne, Schminke, Kostüme und Blutkapseln raus, wir machen jetzt nur noch Dark-Art-Shootings.